Citizenfour –der Snowden-Film von Laura Poitras

Thomas Barth (Kinostart: 6.11.2014) Citizenfour

Der jetzt auch in Deutschland im Kino anlaufende Dokumentar-Thriller der bekannten US-Kritikerin und Filmemacherin Laura Poitras zeigt die Kontaktaufnahme zu Snowden und die ersten Tage des NSA-Leaks, der die Welt veränderte. Die kriminelle Massenüberwachung wurde der Welt enthüllt, ist aber viel zu schnell wieder aus den Schlagzeilen verschwunden. Snowden hat vor den US-Behörden Asyl ausgerechnet bei Putin gefunden, dem inzwischen dämonisierten Präsidenten Russlands.

Edward Snowden ist der Whistleblower, der unser Vertrauen in das Internet am tiefsten erschütterte. Er riskierte alles, um die Netznutzer aus ihrer Traumwelt zu reißen, in der sie den digitalen Cyberspace als rosiges Schlaraffenland zur bequemen Befriedigung all ihrer Bedürfnisse erleben. „Citizenfour“ hält als atemberaubendes Filmdokument die historischen Momente fest, in denen das monströse Panoptikum einer geheimen virtuellen Weltherrschaft in sich zusammenfällt – zum Einsturz gebracht von einer Handvoll mutiger Enthüller.

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Laura Poitras

Die Filmemacherin Laura Poitras war die erste Person, der Snowden seine Kenntnisse enthüllte –unter dem Decknamen „Citizenfour“, der zum Titel ihres Dokumentar-Thrillers wurde. Die gebürtige US-Amerikanerin lebt in Berlin, weil US-Behörden sie drangsalierten, der Grund: Kritische Filme über 9/11, den Irakkrieg und das US-Foltergefängnis Guantanamo. Der dritte im Bunde war der Blogger und Journalist Glenn Greenwald, der aus dem brasilianischen Exil die USA kritisiert, etwa die Verhaftung und Folterung des Wikileaks-Whistleblowers Bradley Chelsea Manning durch die US-Militärjustiz.

Snowden arbeitete für die NSA, die CIA und für mysteriöse Privatfirmen im Dunstkreis der Geheimdienste. Er entdeckte, dass seine Auftraggeber die digitale Welt unter ihre Kontrolle bringen wollen. Dabei brechen sie Gesetze vieler Länder, sogar der USA, und verletzen die Menschenrechte von Milliarden ahnungslosen Netznutzern. Snowden wollte diese kriminellen Machenschaften ans Licht bringen und die Lügen der Top-Manager der globalen Bespitzelung aufdecken, obwohl er genau wusste, dass sie über Leichen gehen würden, um ihre schmutzigen Geheimnisse zu wahren.

Snowden und seine Vertrauten wussten auch, dass es hart werden würde, ihr Wissen zu veröffentlichen, selbst wenn sie es schaffen sollten, die Öffentlichkeit zu erreichen. Sie wussten, dass die Masse der Medien gegen sie stehen würde, dass man sie und ihre Familien ausforschen, jagen, mit Dreck bewerfen würde, um sie einzuschüchtern und unglaubwürdig zu machen. Und sie wussten, dass Geheimdienste und Herrschaftseliten ihre ganze Macht über die Medien ausspielen würden, um die ans Licht gebrachten Wahrheiten zu vernebeln, zu verdrehen, abzuwiegeln und abzulenken. Alles kam darauf an, die Publikation zur richtigen Zeit, am richtigen Ort und in einer sorgfältig geplanten Reihenfolge durchzuziehen.

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Snowden & Greenwald in Hongkong (alle Bilder © Praxis Films nur für Filmkritik freigegeben)

Laura Poitras hält mit ihrer Kamera die entscheidenden Momente fest. Als echte Dokumentation, nicht als nachgestellte Dokufiction. Man sieht die erste Kontaktaufnahme in einem Hotel in Hongkong, die ersten Gespräche mit Snowden, bei denen die Journalisten noch nicht ganz überzeugt sind, dem Whistleblower noch immer etwas auf den Zahn fühlen. Später spürt man die Anspannung, die permanente Erwartung, dass gleich bewaffnete CIA-Leute das Zimmer stürmen. Man fühlt die berechtigte Paranoia, versteckt hinter Galgenhumor, wenn Snowden seinen „Zaubermantel“ über sich und seinen Laptop zieht, um Passwörter einzugeben –aus Furcht vor visueller Bespitzelung. In einigen Szenen kommunizieren Snowden und der Greenwald nur noch über Notizzettel, zu groß ist die Sorge abgehört zu werden. Man ahnt, dass dies das Lebensgefühl künftiger Generationen spiegeln könnte. Die Privatsphäre schützen, heißt die persönliche Freiheit schützen, sagt Jacob Appelbaum. Der Wikileaks-Unterstützer und Mitstreiter von Poitras in Berlin gab den ihm verliehenen Henry-Nannen-Preis jüngst zurück, um auf die Nazi-Vergangenheit der Bertelsmann-Illustrierten „Stern“ hinzuweisen.

Der Guardian zersägte seine Computer

Der Britische Guardian gilt als das mutigste Presseorgan der englischsprachigen Welt, er war bei Wikileaks mit dabei, engagierte sich den berühmten Blogger Greenwald für eine Kolumne. Doch nun zaudert man in London mit diesem größten Skandal der Geschichte. Obwohl die Redaktion mit Ewen MacAskil noch einen alten Hasen geschickt hatte, um sich weiter abzusichern. Zuletzt droht Greenwald mit Publikation auf eigene Faust, der Guardian gibt nach –und wird dafür vom GCHQ, dem Londoner Gegenstück zur verbündeten NSA, drangsaliert: Die Journalisten müssen Wochen später ihre Redaktions-Computer unter Aufsicht von finsteren Beamten eigenhändig zerstören. Ein dummer Akt der Demütigung durch sinnlose Schikane.

Aber nach der Publikation der ersten Dokumente am 5.Juni 2013 ist die Stimmung erst einmal entspannter, Snowden sieht am Hotelfernseher die CNN-Berichte über seine Enthüllungen vorbei ziehen. Zuerst bleibt der Whistleblower noch anonym, sie wollen die NSA etwas zappeln lassen. Plötzlich bekommt Snowden Nachricht von seiner Freundin aus den Hawaii sie haben ihn vermutlich als Leck identifiziert. Er wendet sich selbst an die Öffentlichkeit, erklärt ruhig und sachlich sein Verhalten. Dann taucht Snowden ab, als Reporter das Hotel zu belagern beginnen. Er gerät Poitras aus dem Blick, die ihn später in Russland wieder aufspürt, wo seine Freundin zu ihn gestoßen ist. Beide suchen Asyl vor dem gnadenlosen Zugriff der US-Behörden, die Snowden mit fragwürdiger Rechtsauffassung nach einem dubiosen Gesetz aus dem Ersten Weltkrieg zum Verräter gestempelt haben. David Miranda, den Lebensgefährten von Greenwald, nehmen britische Behörden fest und verhören ihn acht Stunden lang unter der fragwürdigen Begründung, er stände unter „Terrorismusverdacht“. Seine Sachen werden konfisziert, ehe er nach Brasilien weiterreisen darf. Menschenrechtsgruppen protestierten.

NSA-Direktor Alexander log vor US-Kongress

Poitras mischt die Snowden-Aufnahmen aus Hongkong und CIA_floor_sealRussland geschickt mit Interviews und anderem Filmmaterial. Der NSA-Whistleblower William Binney und weitere Überwachungskritiker kommen zu Wort. Dagegen gestellt werden der damalige NSA-Direktor Keith Alexander und US-Geheimdienstkoordinator James Clapper, bei offensichtlichen Lügen vor dem US-Kongress. Sie leugnen die kriminelle Bespitzelung, versuchen ihr Ausmaß klein zu reden. Vor dem Europaparlament erklärt Ladar Levison vom E-Maildienst Lavabit, den Snowden für seine Kontaktaufnahme zu Poitras nutzte, warum er seine Firma schließen musste. US-Behörden setzten ihn wie viele andere Firmen unter Druck, seine Kundendaten an die NSA zu verraten. Besonders die größten Firmen taten das, einige willig wie Microsoft, andere weniger kooperativ, Apple erst nach dem Tod von Steve Jobs.

Aber Poitras versucht gar nicht erst, den Film mit Details über die vielen NSA-Manöver zur Überwachung zu beladen. Für die genaue Erklärung von PRISM, Tempora oder XKeyscore gibt es The Intercept, das neue Blog von Greenwald, Snowden, Jeremy Scahill und anderen. Oder Bücher, vor allem „Die globale Überwachung“ von Glenn Greenwald, praktisch das Buch zum Film. Greenwald schreibt weit informativer als der SPIEGEL-Bestseller „Der NSA-Komplex“ von SPIEGEL-Redakteuren, die das NSA-Thema eher vernebeln und in ihrer Darstellung der deutschen Datenschutz-Szene sogar den Chaos Computer Club unerwähnt lassen, die hiesigen Pioniere der NSA- und Überwachungskritik. Der SPIEGEL will nur noch das Blog „Netzpolitik“ kennen, das neuerdings als Medien-Darling durch deutsche TV-Sender tingelt, und belegt damit, dass große Medienkonzerne wie Bertelsmann eher Teil des Problems sind als seine Lösung.

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Überwachungsmaschine Panoptikum

Kafkaeske Dystopie

Was Snowden über die Geheimdienste ans Licht brachte, übertraf die schlimmsten Befürchtungen der meisten Menschen um ein Vielfaches. Die NSA & Co. haben das World Wide Web zu einer gigantischen Überwachungsmaschine umfunktioniert, die jeden unserer Schritte bespitzeln und protokollieren kann. Daraus lässt sich ein präzises Persönlichkeitsprofil jedes Menschen weltweit errechnen. Vielleicht nicht jetzt sofort, aber irgendwann in der Zukunft, wenn du es wagen solltest, „etwas Auffälliges“ zu tun. Du oder jemand, den du kennst. Oder jemand, der jemanden kennt, den du kennst. Und was ist „etwas Auffälliges“? Das sagen sie uns nicht, weil sie es geheim halten. Oder weil sie es selbst noch nicht wissen. Vielleicht wird das künftig ein Geheimdienstchef entscheiden oder ein US-Präsident. Oder ein Computer. Oder ein korrupter Konzernboss, ein Weltdiktator, ein Massenmörder.

Wir alle werden künftig in einer Welt leben müssen, wie sie das wahnsinnige Genie eines Franz Kafka nicht dunkler hätte ersinnen können: Wenn wir die NSA nicht bändigen, wenn wir nicht wachsam bleiben, Kryptographie anwenden und die Reste der Demokratie zäh verteidigen. Wir müssen sie verteidigen gegen Dunkelmänner, die behaupten, sie wollten uns vor „dem Terror“ schützen –vor einem Terror, von dem immer mehr Menschen glauben, dass ihn genau diese Dunkelmänner insgeheim fördern oder überhaupt erst organisiert haben. Der Film „Citizenfour“ hilft uns, nicht wieder ins rosige Traumland naiver Netznutzung zurück zu gleiten, aus dem es ein grausiges Erwachen geben könnte.

 

4 Kommentare zu „Citizenfour –der Snowden-Film von Laura Poitras“

  1. Das schwere Los der Lemminge

    von denkbonus (Kurzfassung)

    Irgendwann Mitte der neunziger Jahre nähert sich eine Herde Lemminge einer hohen Felsklippe. Abertausende wimmelnder, kleiner Fellknäuel wälzen sich wie ein großer Strom auf die Klippenkante zu und ergießen sich, gleich einem Wasserfall, in die Tiefe. Was hat all diese kleinen Nager dazu gebracht, sich bis zum letzten Mann in den Abgrund zu stürzen? Drei Punkte erscheinen hier ausschlaggebend.

    Alle Lemminge haben dasselbe geglaubt.
    Alle Lemminge hielten sich für gut informiert.
    Alle Lemminge wollten um jeden Preis bei der Herde bleiben.

    Auch Fernsehzuschauer und Zeitungsleser sind, so betrachtet, Lemminge. Sie glauben dasselbe und sind zugleich überzeugt davon, zu denken, während sie ihre Glaubenssätze neu sortieren. Da alle das gleiche sagen, schreiben und berichten, wirkt ihre Welt für sie stimmig, ohne es zu sein. Sind diese Menschen auf ihre Art verrückt? Mag sein, aber da jene, die mit unserem Schicksal spielen, ebenfalls verrückt sind, schafft dies einen gewissen Ausgleich. Wenn nur einer verrückt ist, gibt es Ärger. Wenn jedoch alle verrückt sind, läuft der Laden wieder rund.

    Das Problem unserer Informationslemminge ist die extreme, bislang einzigartige Gleichschaltung unserer Medien.

    Den Feind aufbauen, sollte gerade keiner zur Hand sein. Diesen dazu verfluchen, ihn dämonieren und verächtlich machen, wo immer möglich. Das ist es, was gerade geschieht. Wir befinden uns in Phase eins. Putin eine Gefahr für die Welt. Erst Ebola, dann Putin, dann der IS. BLÖD titelt: „Die Todesrakete kam aus Russland.

    Die Menschen glauben machen, der Feind greift uns an. Beispiel Sender Gleiwitz. In nächster Zeit wird also zu lesen sein: „Russland schickt Truppen gen Westen.“ KREISCH!!! Der Russe greift an! Wir müssen uns schützen, wir müssen jetzt zusammenhalten, wir müssen zurückschlagen.

    Besonnene Mahner treten auf den Plan. Sie versuchen anhand vernünftiger Argumente einen Krieg zu verhindern. Daher sind sie ab sofort als Verräter zu behandeln, die uns alle in Gefahr bringen. Wer für den Frieden eintritt, tritt zugleich ein für unseren Untergang. Wer sich hingegen für Krieg stark macht, steht für Heimatverteidigung, Selbstvertrauen und Stärke.

    Deshalb Friedensvertrag für Deutschland – jetzt !

    Вставайте за мир во всем мире!
    Russische Version

    Steht auf für den Weltfrieden !
    Deutsche Version:

    Stand up for world peace
    Englische Version:

    Eine Information der Gemeinde Neuhaus in Westfalen –
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    Bitte weiterverbreiten – weiterleiten ……. Gruß matthias

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  2. Es ist eine unglaubliche Heuchelei, wie westliche Politikerinnen in Sonntagsreden Whistleblower loben, sich aber nicht darum kehren, was aus ihnen wird, wenn ihre Enthüllungen die eigene Ideologie Lügen strafen, wie bei Snowden.

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    1. Obama hat Snowden nie gelobt -und die US-Medien strotzten nur so von faschistoidem „Verräter“-Gekreisch und hysterischen Mordaufrufen (hat nicht Hillary Clinton einen Killerdrohnen-Meuchelmord an Assange planen lassen?).

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  3. Snowden hat die Welt wirklich zum Besseren verändert!
    Das konnte man auch schon über Assange und WIkileaks sagen, aber da haben West-Geheimdienste und Westmedien soviel Dreck geworfen, dass die Menschen völlig die Orientierung verloren haben. Snowden konnte daraus lernen und weitere Aufklärung wird eines Tages die Geschichte richtigstellen.

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