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‚A Rainy Day in New York‘ Zur Verteidigung von Woody Allen gegen #metoo

Thomas Barth

Bild: © Mars Films

2018 war für die Woody-Allen-Fangemeinde ein schwarzes Jahr, denn erstmals brachte der Erfinder des „Stadtneurotikers“ kein neues Werk auf die Leinwand. Grund waren alte Beschuldigungen, die seine Adoptivtochter Dylan Farrow gegen ihn im Zeichen der #metoo-Debatte erneut in die Öffentlichkeit brachte, wo sie in diesem Jahr mit einer moral panic zusammenfielen. #metoo ist dazu auch noch ein Phänomen, welches ihr Bruder, der Investigativ-Journalist Ronan Farrow, durch Enthüllungen über den Filmproduzenten Harvey Weinstein und seinen sexuellen Missbrauch von jungen Frauen losgetreten hatte.

Woody Allens Produktionsfirma Amazon hat sich daraufhin von ‚A Rainy Day in New York‘ zurück gezogen und einen 4-Movies-Produktionsvertrag mit Allen annulliert. Dennoch kommt jetzt -wenn auch verspätet- die deutsche Version in die Kinos, auch in anderen Ländern fanden sich Filmvertriebe. Der Film thematisiert, was Allen bei Drehbeginn aber noch nicht ahnen konnte, ausgerechnet den Kern der #metoo-Thematik: Den sexuellen Kontakt von jungen Frauen mit wichtigen Männern des Filmbusiness.

Filminhalt

A Rainy Day in New York‘ ist eine typische Woody-Allen-Komödie, Jazzmusik und witzige Dialoge, angesiedelt im linksliberal-jüdischen Milieu natürlich in New York. Eine herausragende Romantikkomödie, wenn auch nicht so Oscar-verdächtig wie viele andere Filme Allens. Der Protagonist ist ein junger und hochintelligenter Mann, zugleich aber eine Art lebensfremder Stadtneurotiker, somit wohl Alter Ego und Markenzeichen des Filmemachers.

Seinen Durchbruch erlebte Allen mit ‚Der Stadtneurotiker‘, einer autobiografischen Mocumentary, deren Gegenbild ‚A Rainy Day‘ jetzt zeichnen könnte. In der Pubertät durchlebt man Ängste, Scham und Minderwertigkeitsgefühle, aber auch arrogante Posen und Selbstüberschätzung bis zum Größenwahn, der Neurotiker plagt sich auch im späteren Leben weiter damit ab. Im aufgeblasenen Ego des Narzissten oder von Selbstzweifeln gequälten Depressiven ringt der Neurotiker mit sich selbst und seiner sozialen Umwelt. Bewegte sich Woody Allen im ‚Stadtneurotiker‘ und seinen frühen Filmen eher auf der negativen Seite, so entfaltet ‚A Rainy Day‘ das Lebensgefühl des zwar unangepassten, aber vom Glück verwöhnten und arroganten jungen Gatsby Welles (Timothée Chalamet).

Gatsby hat sein Studium an einer Eliteuni geschmissen, weil ihm dort alle zu verbissen waren, und ist an eine Provinzuni in Arizona gegangen. Er kommt bei den Frauen gut an und startet gerade eine Reise nach New York mit seiner etwas naiven Freundin Ashleigh (Elle Fanning). Die Bankierstochter war Schönheitskönigin und ist als Journalistik-Studentin sehr ehrgeizig. Sie will in Gatsbys Heimatstadt den berühmten Regisseur Roland Pollard (Liev Schreiber) interviewen und fragt sich, ob sie mit so einem Beitrag für die Uni-Zeitung wohl einen Pulitzer-Preis gewinnen kann. Gatsby dagegen will Ashleigh mit 20.000 beim Pokern gewonnenen Dollars die romantische Seite New Yorks zeigen, teures Hotel am Central Park, exquisite Restaurants und Cocktailbars mit Pianospieler, Kutschfahrt durch den Regen. Doch daraus wird nichts, denn die junge Reporterin versackt in der Glamourwelt des Filmbusiness.

Schon beim Interview flirtet der an sich zweifelnde Regisseur Pollard heftig mit der schönen Ashleigh und lädt sie gleich zu einer privaten Vorführung seines neuen Filmes ein, später will er sie sogar als Muse mit nach Frankreich nehmen. Sein Drehbuchautor Ted Davidoff (Jude Law), mit dem Pollard bei der Vorführung in Streit gerät, fordert Ashleigh auf, dem krisengeplagten Pollard mit weiblicher Zuwendung Mut zu machen. Sonst würde Pollard den Film noch hinwerfen -Ashleigh wittert für ihren Artikel schon einen großen Knüller. Doch schon bald bemüht sich auch Davidoff um die junge Schönheit, denn seine Frau hat ihm just den Laufpass gegeben. Am Filmset suchen beide den frustriert getürmten Pollard und Ashleigh lernt auch noch den Filmstar und Frauenschwarm Francisco Vega (Diego Luna) kennen, ihren auf sie wartenden Gatsby vertröstet sie immer wieder am Handy, sie sei nun aber wirklich einer ganz großen Story auf der Spur. Auch Vega würde die Ballkönigin aus der Provinz nicht von der Bettkante stoßen und nimmt sie erst in seine Garderobe, umschwärmt von Paparazzi, dann auf eine Promi-Party und zuletzt in sein Apartment mit. Ashleigh, die sich zunächst naiv in der Aufmerksamkeit der Filmleute sonnt, wird auf der Schwelle des Schlafzimmers des schönen Filmstars schließlich bewusst, dass es hier um Sex mit ihr geht. An dieser Stelle sagt sie sich, zwar warte ihr Freund Gatsby auf sie, aber Francisco Vega ist ein Star und von diesem Seitensprung wird sie noch ihren Enkelkindern erzählen können.

Gatsby lässt sich derweil durch sein altes New York treiben, landet bei alten Freunden in einer Studenten-Filmproduktion, muss als Statist widerwillig die kleine Schwester einer verflossenen Schulfreundin küssen. Wartet vergeblich im Hotelzimmer auf Ashleigh, die er dann auch noch im Klatsch-TV bei ihrem Besuch in Francisco Vegas Garderobe als dessen neuesten Groupie präsentiert bekommt. Nunmehr Single, gerät er in eine Pokerrunde, gewinnt, und sitzt schließlich melancholisch in einer Bar. Gatsby blickt der Dinnerparty bei seiner Mutter unentschlossen entgegen, denn er sollte dort eigentlich die neue Freundin aus Arizona in die gehobenen Kreise New Yorks einführen. Als eine Prostituierte ihn anspricht, beschließt er spontan sie für 5.000 Dollar als Ashleigh-Double zu engagieren und seiner Mutter unter zu jubeln. Dies misslingt jedoch ebenso wie Ashleighs Seitensprung und am Ende erfährt Gatsby, dass Mütter nicht immer sind, was sie scheinen, und dass es nicht immer die Ballkönigin ist, die einen Mann glücklich macht.

Woody Allen selbst soll, wie sein Regisseur-Alter-Ego Pollard, mit dem Film nicht zufrieden gewesen sein, seine Fans aber wird er kaum enttäuschen. Die Darsteller überzeugen und keiner kann New York so romantisch in Szene setzen wie Allen. ‚A Rainy Day‘ streift mit seiner Story jedoch die #metoo-Problematik und kann fast als Statement gesehen werden: Die junge Ashleigh weiß bei aller Naivität am Schluss genau, worauf sie sich einlässt und zeigt sich, wenngleich auf sympathische Art, von durchaus egoistischen Motiven getrieben. Vielleicht hat auch dies bei Amazon den Ausschlag gegeben, sich von der Produktion abzuwenden. Hauptdarsteller Chalamet und andere haben im Lauf des Shitstorms gegen Woody Allen verkündet, ihre Gagen aus dem Film an #metoo-Opfergruppen zu spenden.

#metoo und Woody Allen

In Donald Trumps Amerika scheint die Unterscheidung eines Beschuldigten von einem Schuldigen inzwischen kaum noch eine Rolle zu spielen. Der Filmemacher, Autor und Jazzmusiker Woody Allen (82) wurde von der New York Times als so „toxisch“ bezeichnet, dass er nicht einmal einen Verlag für seine Autobiografie finden könne, die „Süddeutsche“ sieht ihn schon als Persona non grata der Kulturindustrie der USA.

Feministinnen, die seinerzeit mit Alice Schwarzers Zeitschrift „Emma“ im schmutzigen Scheidungs- bzw. Sorgerechtskrieg die Seite von Mia Farrow gegen Woody Allen ergriffen haben, mögen sich jetzt bestätigt fühlen. Sie sollten vielleicht drei Einwände bedenken:

Erstens standen weder Allen selbst noch seine Filme je für den antifeministischen American Macho, sondern haben diesen stets hinterfragt und ironisiert. Zweitens sind die gegen Allen erhobenen Missbrauchsbeschuldigungen mehr als fragwürdig, entstammen sie doch dem mit harten Bandagen geführten Rechtsstreit Allen-Farrow. Andere Adoptivkinder Mia Farrows haben die Mutter seitdem als rachsüchtig und manipulativ beschrieben; man muss Dylan Farrow dabei keine Lüge unterstellen, die Gedächtnispsychologie hat bei der Untersuchung von Zeugenaussagen das Phänomen der falschen Erinnerung mittlerweile ausreichend aufgeklärt. Schon mit einfachsten Manipulationsmethoden lassen sich selbst bei Erwachsenen Erinnerungen an nie geschehene Ereignisse, sogar an Straftaten, implantieren.

Ob Allen die damals siebenjährige Dylan 1992 wirklich einmal „untenrum“ unzüchtig berührt hat oder ob ihre manipulative Adoptiv-Mutter ihr dies nachträglich eingeredet hat, um sich am Ex zu rächen und das Gerichtsverfahren zu ihren Gunsten zu manipulieren, lässt sich nicht mehr aufklären; gerichtlich ist die Beschuldigung aufgearbeitet und beigelegt, neue Fakten sind nicht aufgetaucht. Zudem beschuldigte 2018 Mia Farrows und André Previns Adoptivtochter Soon-Yi Previn ihre Mutter ebenfalls des Missbrauchs. Eine Affäre mit Soon-Yi Previn, inzwischen Ehefrau von Woody Allen, war Grund für die Trennung von Farrow.

Drittens ist die #metoo-Debatte teilweise dabei, unfreiwillig auch Wasser auf die Mühlen von Donald Trumps Wahlkampf zu gießen. Denn kaum etwas war den Rechtspopulisten der Trump-Bewegung so verhasst wie die linksliberal-jüdische Filmbranche der USA. Breitbart und Trump-Nestor Bannon, der in Breitbarts Namen weiter kämpfte, hassten Hollywood und die Filmbranche wie einst die Nazis und später die McCarthy-Antikommunisten. Wenn die prominente Trump-Sympathisantin Nadja Atwal, selbst Filmproduzentin, Harvey Weinstein, Roman Polanski und Woody Allen heute süffisant in einem Atemzug nennen kann, werden viele Trump-Fans dies mit Genugtuung sehen, auch weil alle drei geschmähten Filmleute jüdischer Herkunft sind: Die traditionell antisemitischen Nazifahnen-Schwenker sowieso, aber auch Steve Bannon und seine Breitbart-Leser.

Hollywood ist für mich eine noch desillusionierendere Erfahrung als Obama und die demokratische Partei. Links reden, rechts leben und permanent die Kerze von beiden Seiten anzünden… Leute wie Woody Allen, Weinstein und Polanski wurden hofiert, bis … ja, bis es der Karriere mehr brachte, dies nun nicht mehr zu tun und stattdessen in das Gegenlager zu wechseln… Nadja Atwal

Sind bei Weinstein die #metoo-Vorwürfe berechtigt, so kann man beim 2009 wegen sexueller Straftaten belangten Filmemacher Polanski mit seinem Verteidiger Rüdiger Suchsland schon anderer Meinung sein.

Bei Woody Allen schießt #metoo übers Ziel hinaus, denn auch wenn seine Unschuld nicht beweisbar ist, ist sie doch äußerst wahrscheinlich und letztlich muss bis zum Beweis des Gegenteils ohnehin die Unschuldsvermutung gelten. Der Fall Roman Polanski kann vielleicht als Vorläufer der #metoo-Debatte gesehen werden, wobei leider nicht hilfreich ist, dass neben Woody Allen auch der berüchtigte Harvey Weinstein den Aufruf „Free Polanski now!“ unterzeichnet hatte -freilich neben vielen anderen Berümtheiten wie Monica Bellucci, Tilda Swinton, Whoopie Goldberg, David Lynch, Martin Scorsese, Fatih Akin, Constantin Costa-Gavras, Pedro Almodóvar und Wim Wenders, um nur einige zu nennen. Rüdiger Suchsland geht mit dem Richter von Polanski hart ins Gericht:

Skandalisiert und zum „Fall Polanski“ wurde alles erst durch den zuständigen Richter Laurence J. Rittenband, der seinerzeit nur deshalb mit dem Fall betraut worden war, weil er sich selbst massiv dazu gedrängt hatte… Rittenband war von Hollywood und seinen Stars besessen. Als „Richter der Stars“ hoffte er von ihrem Ruhm zu profitieren, und selbst in den Rang einer Celebrity zu kommen. Rittenband war zugleich ein typischer Repräsentant des biederen, bigotten, zurückgebliebenen Middle-Amerika, dessen Kleinbürger-Gesinnung noch im 19.Jahrhundert wurzelt. Für dieses Amerika ist Hollywood nicht nur fremd, sondern eine faszinierend abstoßende Hölle. Rüdiger Suchsland

Für die Neue Rechte, die im Netz unter Steve Bannons Führung für Trump trommelte, war Hollywood vielleicht weniger wegen erotischer Libertinage zu verdammen. Sie empörte eher mangelnder Patriotismus und die Unterstützung der Demokraten.

Peter Robinson, Hoover Institution, interviewte vor zehn Jahren den neorechten Hollywood-Kritiker Andrew Breitbart, dessen Blog unter Ägide von Steve Bannon posthum zum Flaggschiff der Netzkampagne für Donald Trump wurde. Dokumentiert ist dort wie der konservative Stanford-Thinktank Hoover den agilen Breitbart in seinem Kulturkampf gegen das linksliberale Establishment förderte: The Politics of Hollywood with Andrew Breitbart.

Die Herren Breitbart und Robinson scheinen sich einig, wie heruntergekommen die US-Filmindustrie sei; waren Warner Brothers noch pro-Republikaner gewesen, dominiere Hollywood jetzt eine linksorientierte Politik. Woody Allens „A Rainy Day in New York“ zeigt die Trump-Fans verhassten Linksintellektuellen in milder Selbstironie, wenn der junge Gatsby seine Zigaretten betont stilvoll mit Spitze raucht.

Das hätte das Duo Breitbart-Robinson sicher bestätigt, denn sie mokieren sich über alberne Intellektuelle, die ihre Zigaretten wie Europäer rauchen -Robinson saugt demonstrativ an seinem Kugelschreiber. Den stramm national gesinnten Herren missfällt aber vor allem, wie negativ in US-Filmen die USA und besonders US-Firmen dargestellt werden, immer wären sie die Bösen. Grund wäre auch das Schielen auf die Filmmärkte außerhalb der USA, deren Antiamerikanismus Hollywood damit bedienen wolle. Ihnen entgeht dabei, dass die meisten wirklich brutalen Bösen in solchen US-Actionfilmen doch eher Russen, Asiaten oder Latinos sind, manchmal auch Teutonen, wie z.B. Arnold Schwarzenegger in TERMINATOR (die wechseln dann jedoch auf die Seite der Guten und werden günstigstenfalls sogar zum Gouverneur von Kalifornien gewählt).

Im weiteren Altherrenplausch wettern Breitbart und Robinson noch gegen den neuen Bondfilm, da hätte man gezeigt, wie US-Amerikaner bzw. US-Firmen versuchen, Bolivien zu übernehmen -wie absurd! Was sollten US-Konzerne denn mit all dem Lithium anfangen? Etwa Autobatterien bauen? Der aktuelle Putsch gegen Evo Morales bzw. dessen Rücktritt Anfang November scheint allerdings den Kurs von Tesla beflügelt zu haben, der im November von 220 auf 320 Punkte sprang. Doch solche Fragen bewegen weder den klugen jungen Gatsby noch Woody Allen, sondern eher Michael Moore. Moores Filme von rechts zu übertrumpfen wurde dann zur fixen Idee von Breitbart-Jünger und Trump-Mentor Steve Bannon.

Eine Kurzfassung dieser Filmkritik erschien auf Telepolis